Nach dem Sieg von JJ beim Eurovision Song Contest 2025 steht fest: Österreich wird 2026 Gastgeber des größten Musikwettbewerbs Europas sein. Während Wien als Austragungsort von 2015 automatisch in die Favoritenrolle rückt, bringt sich auch die steirische Landeshauptstadt Graz in Position. Doch wie realistisch sind die Chancen für einen Songcontest in Graz wirklich? Dieser Artikel analysiert kritisch die Möglichkeiten, Herausforderungen und Aussichten einer Bewerbung.

Der Songcontest: Bedeutung und Anforderungen

Der Eurovision Song Contest (ESC), in Österreich oft einfach als „Songcontest“ bezeichnet, ist mit rund 180 Millionen Zuschauern eine der größten TV-Produktionen weltweit. Die Austragung bedeutet nicht nur einen enormen logistischen Aufwand, sondern auch beträchtliche Kosten. Basel investierte als Gastgeberstadt 2025 über 30 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen potenzielle wirtschaftliche Impulse durch zehntausende Besucher und ein enormer Werbeeffekt.

Die European Broadcasting Union (EBU) stellt strenge Anforderungen an Austragungsorte: Eine Halle mit mindestens 10.000 Plätzen, ausreichende Hotelkapazitäten, internationale Verkehrsanbindung und ein umfassendes Sicherheitskonzept sind nur einige der Grundvoraussetzungen. Der ORF wird als ausrichtender Sender gemeinsam mit der EBU die finale Entscheidung über den Austragungsort treffen.

Pro Graz: Argumente für die steirische Landeshauptstadt

Vorhandene Infrastruktur

Die Grazer Stadthalle bietet mit dem angrenzenden Messegelände grundsätzlich ausreichend Platz für eine Großveranstaltung. Stadtrat Günter Riegler betont: „Mit der Stadthalle hat Graz nicht nur die passende Infrastruktur, sondern auch das Know-how, um Großveranstaltungen durchzuführen.“ Die Halle wurde in den vergangenen Jahren modernisiert und verfügt über die technischen Voraussetzungen für TV-Produktionen.

Verkehrsanbindung und Erreichbarkeit

Mit dem Flughafen Graz-Thalerhof, der Anbindung an das europäische Schnellzugnetz und der neuen Koralmbahn, die 2026 in Betrieb gehen soll, verfügt die Stadt über eine solide Verkehrsinfrastruktur. Die Koralmbahn würde zudem eine schnelle Verbindung nach Kärnten und ins benachbarte Slowenien ermöglichen, was die Unterbringungskapazitäten erweitern könnte.

Erfahrung mit Großveranstaltungen

Als Kulturhauptstadt 2003 und Austragungsort zahlreicher internationaler Sportveranstaltungen hat Graz bewiesen, dass die Stadt Großereignisse stemmen kann. „Das Kulturhauptstadtjahr 2003 hat der Stadt einen immensen Schub gegeben“, erinnert Stadtrat Riegler. Die Nächtigungszahlen seien damals sprunghaft angestiegen.

Vorteile eines Songcontest in Graz

  • Internationaler Imagegewinn für die Stadt und Region
  • Wirtschaftliche Impulse für Tourismus und Gastronomie
  • Nachhaltige Stärkung des Kulturstandorts
  • Möglichkeit, die Steiermark einem Millionenpublikum zu präsentieren
  • Potenzial für langfristige Infrastrukturverbesserungen

Contra Graz: Kritische Einwände gegen die Austragung

Finanzielle Belastung für die Stadt

Der NEOS-Fraktionsvorsitzende Philipp Pointner warnt: „Eine Stadt, die seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse lebt und dringend Reformen bräuchte, hat sich diese Chance selbst verbaut.“ Die Stadtfinanzen sind angespannt, der Stadtrechnungshof urteilte kürzlich: „Der richtige Zeitpunkt zu handeln ist bereits vorüber.“ Die Kosten für den ESC könnten das Budget weiter belasten.

Konkurrenz durch andere Standorte

Wien hat als Hauptstadt und mit der Erfahrung von 2015 einen klaren Vorteil. Auch Innsbruck mit der Olympiaworld und das Schwarzl-Freizeitzentrum bei Premstätten, das von Konzertveranstalter Klaus Leutgeb ins Spiel gebracht wurde, sind ernstzunehmende Konkurrenten. Leutgeb betont: „So etwas gibt’s sonst nirgends!“ und verweist auf die Flexibilität des Geländes am Schwarzlsee.

Logistische Herausforderungen

Die Hotelkapazität in Graz ist begrenzt. Für die erwarteten 10.000 bis 15.000 internationalen Gäste, darunter Delegationen, Medienvertreter und Fans, könnte dies problematisch werden. Auch die nächtliche Verkehrsanbindung nach Großveranstaltungen wird kritisch gesehen. Die Stadthalle selbst müsste für die speziellen Anforderungen einer ESC-Produktion umfassend adaptiert werden.

Herausforderungen für Graz

  • Hohe Kosten bei angespannter Haushaltslage
  • Begrenzte Hotelkapazitäten in der Innenstadt
  • Starke Konkurrenz durch Wien und andere Städte
  • Logistische Herausforderungen bei Verkehr und Sicherheit
  • Fragliche Nachhaltigkeit der Investitionen

Wirtschaftliche Chancen und Risiken

Die wirtschaftlichen Effekte eines Songcontest in Graz wären beträchtlich. Landeshauptmann Mario Kunasek betont: „Davon profitieren Beherbergungsbetriebe und Gastronomie – auch in weiter entfernten Regionen.“ Studien zu vergleichbaren Veranstaltungen zeigen, dass jeder investierte Euro mehrfach in die Region zurückfließen kann.

Wirtschaftsfaktor: Geschätzter Effekt Nachhaltigkeit

WirtschaftsfaktorGeschätzter EffektNachhaltigkeit
Tourismus (Nächtigungen)+30.000 bis 50.000 während der Event-WochenMittelfristiger Imagegewinn
Gastronomie & Einzelhandel+15-20% Umsatz im VeranstaltungszeitraumKurzfristig
Mediale PräsenzWerbewert von 40-60 Mio. EuroLangfristig
Infrastrukturinvestitionen10-15 Mio. EuroLangfristig

Dem gegenüber stehen die Kosten: Die Stadt Basel investierte 2025 über 30 Millionen Euro. Für Graz wäre ein ähnlicher Betrag zu erwarten, wobei unklar ist, wie die Finanzierung zwischen Stadt, Land und Bund aufgeteilt würde. Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) betont: „Das Vorhaben ist nur dann umsetzbar, wenn es von allen mitgetragen wird und die Kosten für die Stadt zu bewältigen sind.“

Expertenmeinung: „Der ESC kann ein Katalysator für die Stadtentwicklung sein, wenn die Investitionen strategisch geplant werden. Die Herausforderung liegt darin, nachhaltige Effekte zu erzielen, die über das Event hinaus wirken.“ – Dr. Michael Steiner, Wirtschaftsforscher

Alternative: Schwarzlsee als Kompromisslösung?

Eine interessante Alternative zur Grazer Stadthalle bietet das Schwarzl-Freizeitzentrum in Premstätten. Konzertveranstalter Klaus Leutgeb, der das Gelände betreibt, wirbt intensiv für seinen Standort: „Die generalsanierte Daviscup-Halle samt weitläufigem Gelände am Schwarzlsee ist ideal: TV-tauglich, flexibel nutzbar, 15.000 Parkplätze, nahe am Flughafen und gut angebunden an Nachbarländer.“

Premstättens Bürgermeister Matthias Pokorn steht dem Vorhaben offen gegenüber: „Wir stehen dem Ganzen offen gegenüber. Wenn sich was tut, wäre das auch für den ganzen Bezirk eine große Chance und etwas Gutes.“ Interessant ist sein Hinweis zur Namensgebung: „Es ist egal, ob das dann Graz oder Premstätten heißt. Vielleicht geht sich ja auch Graz/Premstätten aus.“

Diese Lösung könnte einen Kompromiss darstellen: Die internationale Strahlkraft des Namens „Graz“ bliebe erhalten, während die logistischen Vorteile des Schwarzlsees genutzt würden. Die Finanzierung könnte auf mehrere Schultern verteilt werden. Kritiker bemängeln jedoch die Lage außerhalb der Stadt, die den urbanen Charme eines Stadtzentrums vermissen lässt.

Stimmen aus der Bevölkerung

Die Meinungen in der Grazer Bevölkerung zum Songcontest sind geteilt. Während viele die internationale Aufmerksamkeit und wirtschaftlichen Impulse begrüßen, gibt es auch kritische Stimmen, die vor allem die Kosten und mögliche Beeinträchtigungen des Alltags durch die Großveranstaltung thematisieren.

Befürworter betonen vor allem den internationalen Imagegewinn, wirtschaftliche Impulse für Tourismus und Gastronomie sowie die Chance, Graz einem weltweiten Publikum zu präsentieren. Viele sehen Parallelen zum Kulturhauptstadtjahr 2003, das der Stadt einen nachhaltigen Entwicklungsschub gebracht hat.

Kritiker fokussieren sich auf die finanziellen Belastungen für die Stadt, mögliche Verkehrsprobleme und die Frage, ob die Investitionen nachhaltig sind. Einige bezweifeln, ob die Hotelkapazitäten ausreichen und ob die Stadthalle ohne massive Umbauten den Anforderungen genügen kann.

Die Meinungen zum Schwarzlsee als Austragungsort sind gemischt. Während die logistischen Vorteile anerkannt werden, befürchten manche, dass die Stadt Graz selbst weniger vom Event profitieren würde. Andere sehen darin einen pragmatischen Kompromiss, der die Region insgesamt stärken könnte.

Die Chancen für einen Songcontest in Graz sind durchaus vorhanden, aber mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Die Stadt verfügt grundsätzlich über die nötige Infrastruktur und Erfahrung mit Großveranstaltungen. Die angespannte Haushaltslage und die starke Konkurrenz durch Wien und andere Standorte sind jedoch gewichtige Gegenargumente.

Entscheidend wird sein, ob es gelingt, ein überzeugendes Finanzierungskonzept zu entwickeln, das die Kosten auf mehrere Schultern verteilt. Die Alternative Schwarzlsee könnte einen pragmatischen Kompromiss darstellen, der die Vorteile beider Welten vereint.

Bis Juli 2025 soll die Entscheidung fallen, wo in Österreich der Eurovision Song Contest 2026 stattfinden wird. Bis dahin bleibt die Frage offen: Wird der Songcontest nach Graz kommen? Die Antwort liegt nicht allein in den Händen der Stadt, sondern hängt maßgeblich von der Bewertung durch ORF und EBU ab.